Wie alles anfing!

Gegründet wurde der Kreuzberger Tauschring am 27. Februar 1995 im Nachbarschaftshaus Urbanstraße. Die Vorbereitungszeit verlief in mehreren Etappen. Während des Kongresses »Wirtschaft von unten« (31.8. - 4.9.1994) in Dessau trafen Menschen aus Berlin aufeinander, die sich, jeder einzeln, mit dem Thema beschäftigten. Sie erkundigten sich auch über die Erfahrungen der englischen Tauschringe, den so genannten LETS (Lokal Exchange & Trading System), u. a. bei Harry Turner, der per LETS das engl. Gesundheitssystem reformierte. Zu dieser Zeit gab es in Großbritannien schon 400 LETS.

Die Idee des systematischen Tauschhandels wird immer in Krisenzeiten belebt, so auch zu Beginn der 80er Jahre auf Vancouver Island in Kanada, wo 1983 das erste LETS-System gegründet wurde. Von dort breitete sich die Idee über die USA, Australien, Neuseeland, Großbritannien auch in Europa aus.

Nach dem Kongress in Dessau fand ein Folgetreffen der interessierten BerlinerInnen im Mehringhof statt. Hier verständigten sich diese dahingehend, den Versuch zu wagen, einen Tauschring in Berlin zu gründen.

Das Angebot des Nachbarschaftshauses Urbanstraße, seine Räume dafür zur Verfügung zu stellen, wurde nach langer Standortsuche freudig begrüßt. Eine kleine Vorbereitungs- gruppe traf sich daraufhin jeden Montag in den Räumlich- keiten und bereitete den Start des Kreuzberger Tauschringes vor.

Nach der ersten Informationsveranstaltung im November 1994 erweiterte sich der Kreis auf zehn aktive Menschen. Bis zum Februar 1995 - mittels vieler Diskussionen und dem Einarbeiten der Erfahrungen bereits bestehender Tauschringe - wur den die Strukturen und Teilnahme bedingungen des Kreuzberger Tauschringes erarbeitet.

Es wurde parallel in Arbeitsgruppen agiert: Eine entwickelte die Zeitung, eine zweite machte die Öffentlichkeitsarbeit und eine dritte setzte sich mit den Organisationsstrukturen auseinander.

Auf den wöchentlichen Treffen wurde vor allem über die Zielsetzung des Tauschringes und die dafür notwendigen Bedingungen diskutiert. Im Gegensatz zu den damals bekannten Tauschringen in der Bundesrepublik sollte eine interne Verrechnungseinheit gefunden werden. Diese sollte anhand eines Stundenäquivalentes bemessen werden und nicht an der DM (heute: Euro) orientiert sein.

Es fehlte der Mut zu einer klaren Abgrenzung - deswegen wurde der KREUZER geboren. Dies war ein Kompromiss, der vor allem der Idee zur weiteren Vernetzung mit anderen Projekten die Tür offen halten sollte. Die Empfehlung, dass 20 Kreuzer für eine Stunde Lebenszeit berechnet werden, gilt bis heute.

Jedoch waren sich alle einig, dass im Sinne der Nachbarschaftshilfe, möglichst jede Arbeit im Tauschring gleich bewertet und damit der Diskriminierung von Frauen-, Randgruppen-, Handwerks- und Reproduktionsarbeit entgegen gewirkt werden soll.

Den bestimmenden Werten auf dem Geld- und Kapitalmarkt wie Eigennutz, Konkurrenz und Gewinnmaximierung, werden im Tauschring Solidarität, Kreativität, Empowerment (Selbstlernprozess durch Erfahrung), Anerkennung des Individualrechts (Recht des Menschen als Persönlichkeit), sowie ökonomische Selbsthilfe (haushälterisch, wirtschaftlich, sparsam) der Menschen, gegenüber gestellt.

Auch wenn es schon viele Diskussionen über gerechte Bewertung von Arbeit gegeben hat und in Zukunft sicher weiter geben wird - die Orientierung für das solidarische Miteinander hat sich mit der Zeit bewährt! Der Austausch von Gegenständen und Dienstleistungen wird durch diese Debatten nicht behindert, wie die vielen Tauschaktionen zeigen.

Erkennbar wird, dass die Bewertung von Arbeit eine gesellschaftliche Übereinkunft ist und nach den Bedürfnissen der Menschen entsprechend verändert werden kann.
Der Kreuzberger Tauschring ist also keine neue Dienstleistungsagentur, bei der man billig noch ein Schnäppchen machen kann, sondern er besteht aus Menschen, die den Versuch wagen, die von allen gewünschten humanen Umgangsformen miteinander in die Tat umzu setzen.

Doch selbst mit guten Vorsätzen wird jemand beim Eintritt in den Tauschring nicht zu einem anderen, solidarischen Menschen. Anerzogene Werte müssen erkannt und auf ihre Richtigkeit hin überprüft werden, um sich auf eine Veränderung einzulassen.
Jeder kann dies feststellen, wenn er ehrlich mit sich selbst umgeht.

Nicht Großzügigkeit beherrscht unser Handeln im normalen (Geschäfts-) Leben, sondern die Angst, von anderen über den Tisch gezogen und übervorteilt, überfordert und ausgenutzt zu werden. Nur über die Bereitschaft zur offenen und ehrlichen Auseinandersetzung aller Tauschring-TeilnehmerInnen kann eine solidarische Tauschkultur entstehen.

Dazu gehört (lernbar!):

  • konkrete Absprachen zu treffen
  • eingegangene Verpflichtungen einzuhalten
  • nicht nur auf die Initiative der Anderen zu warten, sondern selbst aktiv zu werden
  • Vorurteile zu überwinden
  • und jeden Menschen so zu behandeln, wie man gerne selbst behandelt werden will.

Im Gegensatz zur undurchschaubaren Gesellschaft außerhalb, bestimmt im Tauschring jeder das Klima mit. Um die Mitarbeit von möglichst vielen TeilnehmerInnen zu fördern, wurde entschieden, dass ein Eintrag ins Vereinsregister nicht erfolgt, um den dadurch vorgeschriebenen Strukturen (Vorsitzender, Stellvertreter, Kassenwart) zu entgehen. Daher können eigene »Rahmenbedingungen« entwickelt werden, die einem Selbsthilfeprojekt eher entsprechen.
So blieben nach der Gründung im Februar 1995 die Arbeitsgruppen/Aktivengruppen (Abkürzung: AG) weiter erhalten. Die AG Redaktion ist für die Zeitungen verantwortlich, die AG Büro deckt die Sprechzeiten ab und macht das Management, die AG TauschRausch organisiert den einmal monatlich stattfindenden »Floh- und Trödelmarkt« und die AG Öffentlichkeitsarbeit vermittelt und vertritt den TauschringGedanken nach außen.

Im Laufe der Jahre hinzugekommen sind die AG Mitgliederbetreuung (für Hilfe und Schlichtung in Konfliktfällen) und die AG Solidaritäts- und Zukunftskonto (Hilfe bei Krankheit usw.), um ein am Gemeinwesen orientiertes Miteinander zu unterstützen. Und zu guter Letzt wurde auch die Homepage-Redaktion, die Anfangs noch der Öffentlichkeitsarbeit untergeordnet war, zu einer eigenständigen AG ernannt.

An jedem ersten Montag im Monat findet das Aktiventreffen statt. Hier werden alle laufenden Entscheidungen für den Tauschring getroffen, Informationen und Gedanken ausgetauscht, sowie neue Aktivitäten geplant.

Der Kreuzberger Tauschring basiert von Beginn an auf einem ehrenamtlichen, bürgerschaftlichen Engagement. Die Aktivenarbeit zur Organisation des Tauschringes wird jedoch auch vergütet. Dafür ist die Gebühr von 7 Kreuzern pro Monat und Mitglied eingeführt worden, die automatisch vom Konto eines jeden Mitgliedes abgebucht wird.

Die Mitglieder, die für den Tauschring gearbeitet haben, reichen bis zum 15. des Monats ihre für den vergangenen Monat geleistete Stundenzahl im Büro ein. Die vorhandenen Gebührenkreuzer aller Mitglieder werden dann auf die angefallenen Stunden verteilt. Aktivenarbeit wird derzeit mit mindestens 15 und maximal 20 Kreuzern pro Stunde vergütet.
Ein großer Teil der Arbeit wird auch weiterhin ehrenamtlich geleistet.

Auch hierüber gibt es Diskussionen: die einen finden ehrenamtliche Aktivität notwendig und andere finden ihre Arbeit zu wenig gewürdigt. Wie dieser Knoten zu lösen ist, wird sich in der Zukunft zeigen.

Jedoch gibt es den Tauschring nur so lange, wie Menschen bereit sind, die notwendigen Strukturen zu erhalten und ihre Fähigkeiten und Qualitäten in die Gemeinschaft einzubringen.

Dass sich menschliches miteinander Umgehen nicht an den Bedingungen des Marktes und der Betriebswirtschaft orientieren kann, wissen wir. Wie hier eine Alternative aussehen könnte, kann nur durch praktische Erfahrung und Bereitschaft zu einer selbstkritischen Auseinandersetzung einerseits und anerkennenden, konstruktiven Umsetzung andererseits, herausgefunden werden.

Wir freuen uns auf Menschen, die Lust haben aktiv mitzumachen.